Was ist die Strategie der SOZ für Afghanistan?

von Andrew KORYBKO*

(23. August 2021) Die «Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit» (SOZ) täte gut daran, die Bemühungen ihrer Mitglieder zu koordinieren, um von Afghanistan ausgehende regionale terroristische Bedrohungen wie den «Islamischen Staat in Khorasan» (IS-K) einzudämmen, einen politischen Kompromiss zwischen Kabul und den Taliban zu fördern und einen Plan für die Entwicklung des Vernetzungspotenzials des vom Krieg zerrissenen Landes auszuarbeiten, um seine langfristige Stabilität zu gewährleisten.

Die Zukunft Afghanistans ist vor dem Hintergrund des raschen Vormarschs1 der Taliban im ganzen Land nach dem bevorstehenden Abzug der amerikanischen Streitkräfte2 bis zum 31. August3 ungewisser denn je. Die meisten Beobachter sagen eine Verschärfung des Bürgerkriegs voraus, wenn die Taliban – die von den meisten Ländern, wie auch Russland, immer noch als Terroristen betrachtet werden, obwohl Moskau sie in den vergangenen Jahren mehrmals pragmatisch zu Friedensgesprächen eingeladen hat – nicht in der Lage sind, die wichtigsten Städte Afghanistans einzunehmen, die noch unter der Kontrolle der Regierung stehen.

Das daraus resultierende Chaos könnte eine gefährliche Gelegenheit für IS-K schaffen, seine Präsenz im Land auszuweiten und sogar zu einer grossen Sicherheitsbedrohung für Zentral- und Südasien zu werden. Da die USA ihre Verpflichtungen im Kampf gegen den Terrorismus praktisch aufgegeben haben – vielleicht aus machiavellistischen Gründen,4 die mit der Provokation genau dieses Szenarios zusammenhängen – fällt es der SOZ zu, stattdessen die regionale Sicherheit zu gewährleisten.

Die «Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit»

Diese Gruppe umfasst die meisten zentralasiatischen Republiken (Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, mit Ausnahme von Turkmenistan) sowie China, Indien, Pakistan und Russland.

Afghanistan, Weissrussland, Iran und die Mongolei sind Beobachter, während Armenien, Aserbaidschan, Bangladesch, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und die Türkei Dialogpartner sind.

Eines der Mandate der SOZ ist es, gemeinsam den Bedrohungen durch Terrorismus, Separatismus und Extremismus zu begegnen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern zu verbessern. In Anbetracht der im ersten Absatz dieser Analyse beschriebenen schnelllebigen Ereignisse folgt daraus, dass sie ein natürliches Interesse daran haben zusammenzuarbeiten, wenn es um Afghanistan geht. Dies kann sicherheitspolitische, politische und wirtschaftliche Formen annehmen:

  1. Sicherheitspolitik: Dies betrifft die Unterstützung der beiden an Afghanistan angrenzenden Mitgliedsstaaten, insbesondere des äusserst fragilen und ehemals bürgerkriegsgeplagten Tadschikistan;

  2. Politik: Dies betrifft die Erleichterung des Dialogs zwischen den Kriegsparteien;

  3. Wirtschaft: Dies betrifft das Vernetzungspotential Afghanistans.

Sicherheitspolitischer Ansatz

Um es etwas ausführlicher zu machen: Berichten zufolge5 sind in den letzten Wochen fast 1600 afghanische Soldaten nach Tadschikistan geflohen, um dem schnellen Vormarsch der Taliban in Nordafghanistan zu entkommen. Wie Sputnik6 berichtet, haben die Taliban einen wichtigen Grenzübergang ungehindert weiterarbeiten lassen, und es ist allgemein bekannt, dass die sie keine regionalen Expansionspläne hegen.

Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass sie eine Bedrohung für Tadschikistan oder eine der anderen Zentralasiatischen Republiken darstellen. Dennoch könnte die vorherrschende Unsicherheit über die Zukunft Afghanistans zu grossen Flüchtlingsströmen führen, insbesondere wenn IS-K die Situation ausnutzt.

Aus diesem Grund hat Präsident Putin seinem tadschikischen Amtskollegen kürzlich volle Unterstützung bei der Gewährleistung der Grenzsicherheit versprochen.7 Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass die russische Militärbasis in diesem Land mehr als fähig ist, diese Mission zu erfüllen, wenn sie darum gebeten wird, aber es bietet dennoch eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Mitglieder der SOZ, an der Sicherheitsfront enger zu kooperieren.

Bislang hat die Regionale Anti-Terror-Struktur (RATS) der SOZ noch keine wirklichen Aktionen gesehen. Die SOZ besteht aus sehr unterschiedlichen Mitgliedern, denen es an einer sinnvollen Sicherheitskoordination mangelt, abgesehen von weitgehend symbolischen Übungen, die ab und zu abgehalten werden. Es würde die Effektivität der Organisation immens steigern, wenn Tadschikistan sie um Hilfe bitten würde, und sei es auch nur, um als so genannte «Live-Action-Übung» zur Unterstützung der von Russland geführten Mission zu fungieren.

Das bedeutet nicht, dass ihre Soldaten dauerhaft unter dem Banner der SOZ eingesetzt werden müssen, da dies auch durch einen verstärkten Austausch von Geheimdiensterkenntnissen über diese Struktur sowie durch die Bereitstellung von relevanter materieller Unterstützung erreicht werden könnte. Obwohl Indien mit China und Pakistan rivalisiert, könnten sie alle ihre Differenzen im Interesse des Pragmatismus beiseite schieben, um multilaterale Sicherheitserfahrungen zu sammeln, die bei zukünftigen regionalen Krisen, sei es in Afghanistan oder anderswo, von Nutzen sein könnten.

Politischer Ansatz

Die zweite Dimension des Spielplans der SOZ für Afghanistan sollte beinhalten, dass alle Mitglieder ihr Möglichstes tun, um einen politischen Kompromiss zwischen Kabul und den Taliban zu fördern. Die Agentur Reuters8 berichtete Anfang dieser Woche, dass letztere beabsichtigen, bei Gesprächen irgendwann im nächsten Monat einen Friedensplan vorzulegen, der faktisch als Ultimatum zur Verhinderung ihres spekulativ geplanten Angriffs auf die Hauptstadt dienen könnte.

Die Taliban bestreiten,9 einen Angriff auf die Hauptstadt ernsthaft in Erwägung zu ziehen, aber Beobachter befürchten, dass er unvermeidlich werden könnte, wenn Kabul sich weigert, sich ihren Forderungen zu unterwerfen. Um die ausgeprägte Instabilität zu vermeiden, die einer solchen Schlacht wahrscheinlich folgen würde, liegt es im Interesse der SOZ, dafür zu sorgen, dass die Taliban und Kabul bei der nächsten Gesprächsrunde eine Einigung erzielen.

Da die afghanische Regierung durch den Abzug der USA bereits weitgehend demoralisiert ist und ihr offizieller amerikanischer Verbündeter nach dem Abzug im September bald noch weniger in der Lage sein wird, sie zu verteidigen als je zuvor, ist dieses Szenario durchaus möglich.

Der wirtschaftliche Ansatz

Die dritte Dimension dessen, was die SOZ tun sollte, um Afghanistan zu helfen, ist die Präsentation der Grundlagen eines umfassenden Vorschlags zur regionalen Wirtschaftsintegration, um allen inländischen Akteuren zu zeigen, dass der Frieden wirklich im Interesse aller wäre.

Die im Februar getroffene Vereinbarung zwischen Pakistan, Afghanistan und Usbekistan über den Bau einer trilateralen Eisenbahnlinie (beiläufig als PAKAFUZ bezeichnet, nach den Anfangsbuchstaben der Namen der beteiligten Länder) könnte das superkontinentale Integrationspotenzial10 des vom Krieg zerrissenen Landes freisetzen, indem es schliesslich Zentral- und Südasien zusammenführt.

Das wiederum könnte zur Etablierung einer neuen Wirtschaftsachse führen, die sich von Russland in Osteuropa bis hinunter nach Indien in Südasien erstreckt und die man vorläufig als SOZ-Korridor bezeichnen könnte. Dieser ehrgeizige Vorschlag sollte Kabul und den Taliban idealerweise von der gesamten SOZ mit Hilfe aller ihrer Mitglieder während der nächsten Runde der Friedensgespräche im August unterbreitet werden.

Friedensgespräche im August

Die Zeit reicht nicht aus, um die genauen Details auszuarbeiten, aber jedes Land könnte sich generell zu diesem Plan verpflichten, und sei es nur mit weitreichenden Zusagen für finanzielle Unterstützung (Zuschüsse und/oder Kredite) sowie technisches Know-how. Das Wichtigste ist, dass beide Kriegsparteien (vor allem aber das starrköpfige Kabul) erkennen, dass ein pragmatischer Kompromiss den Interessen aller eurasischen Länder und nicht nur ihren eigenen Interessen dienen würde und dass das vielversprechendste multipolare Gremium des Superkontinents ein direktes Interesse an diesem Ergebnis hat.

Die SOZ muss sozusagen in die Tat umgesetzt werden, anstatt nur zu reden. Daher ist es notwendig, die Differenzen zwischen den rivalisierenden Mitgliedern beiseite zu schieben, um gemeinsam einen glaubwürdigen Plan zu diesem Zweck vorzulegen (so wenig detailliert er angesichts des kurzen Zeitrahmens auch sein mag). Der dringend benötigte gute Wille und das Vertrauen, die dies erleichtern würden, könnten durch den früheren Vorschlag, Tadschikistan multilaterale Sicherheitshilfe zu leisten, erheblich gefördert werden.

Damit alles gut vor sich geht, hat die SOZ die Verantwortung, die Führung zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass die Situation in Afghanistan nicht bald ausser Kontrolle gerät und dadurch einen fruchtbaren Boden für die regionale Expansion der IS-K schafft.

Der Block kann dies nur erreichen, indem er gemeinsam solche terroristischen Bedrohungen für die benachbarten Zentralasiatischen Republiken wie Tadschikistan eindämmt sowie Kabul und die Taliban dazu ermutigt, bei der nächsten Runde der Friedensgespräche im August pragmatisch einen politischen Kompromiss zu finden. Damit könnte die befürchtete Verschärfung des afghanischen Bürgerkriegs verhindert und die zuvor Genannten unterstützt werden, um mit einem glaubwürdigen Plan die Umwandlung Afghanistans in das Kernstück des vorgeschlagenen SOZ-Korridors von Osteuropa nach Südasien voranzutreiben.

Das ist zugegebenermassen viel verlangt von einer Organisation, die noch nie mit einer echten Krise konfrontiert war, geschweige denn mit einer so dringenden wie dem afghanischen Bürgerkrieg, aber es ist immer noch möglich, einiges von dem, Vorgeschlagenen zu erreichen, solange der politische Wille vorhanden ist.

Quelle: https://orientalreview.org/2021/07/12/whats-the-scos-game-plan-for-afghanistan/ 12. Juli 2021

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

* Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politikanalyst. Er ist spezialisiert auf die Beziehungen zwischen der US-Strategie in Afro-Eurasien, Chinas «Belt & Road» Initiative und der hybriden Kriegsführung. Zu seinen weiteren Schwerpunkten gehören südasiatische Angelegenheiten und die jüngste Wiederherstellung des hegemonialen Einflusses der USA in Lateinamerika.

1 https://www.rt.com/news/528597-taliban-storms-city-takes-police-station/

2 https://tribune.com.pk/article/97359/why-america-couldnt-win-its-war-in-afghanistan

3 https://sputniknews.com/us/202107081083340107-president-joe-biden-us-will-be-out-of-afghanistan-by-31-august/

4 https://tribune.com.pk/article/97380/does-the-us-have-ulterior-motives-for-withdrawing-from-afghanistan-so-hastily

5 https://www.bbc.com/news/world-asia-57720103

6 https://sputniknews.com/middleeast/202107051083313703-insurgency-for-fun-and-profit-taliban-take-over-tajikistan-border-customs-post/

7 https://www.rt.com/russia/528481-tajikistan-kabul-troops-border-crossing/

8 https://www.reuters.com/world/asia-pacific/exclusive-taliban-aim-present-written-peace-plan-talks-soon-next-month-spokesman-2021-07-05/

9 https://www.rt.com/news/528376-taliban-kabul-foreign-forces-withdrawal/

10 https://news.cgtn.com/news/2021-07-06/BRI-would-be-the-best-thing-to-happen-to-post-withdrawal-Afghanistan-11Gkfn1uDrq/index.html

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