Corona-Massnahmen: Rückkehr des Rechtsstaats?

von Kurt Scherrer, lic. phil. I

(15. Februar 2021)  Erstmals hat aufgrund einer Klage in Thüringen ein deutsches Gericht Stellung genommen zu den bisher verordneten Corona-Massnahmen. Im Zentrum des Verfahrens hatte das Amtsgericht Weimar die Frage der Rechtsgrundlagen zu den im Frühjahr 2020 erlassenen Corona-Massnahmen und damit deren Rechtmässigkeit zu beurteilen ebenso wie deren gesetzlich vorgeschriebene Verhältnismässigkeit. Eine gewisse zusätzliche Brisanz entstand dem mit Spannung erwarteten Urteil durch die Tatsache, dass aufgrund der Klage eines Bürgers verschiedene amtlich verordnete Massnahmen und Einschränkungen bis hin zu landesweiten Anordnungen der Bundesregierung zum ersten Mal auf den rechtlichen Prüfstand kamen. Somit standen Grundsatzfragen zu obrigkeitlichen Entscheiden im Raum, die nicht weniger als mit den verfassungsmässig garantierten Freiheiten und Rechten des Bürgers im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat abzuwägen waren.

Das aufsehenerregende Urteil vom 11. Januar 2021 lässt in seinen umfassend recherchierten Begründungen mit seiner ungewöhnlich deutlichen Sprache aufhorchen. Umso mehr erstaunt, dass dieses ungewöhnlich klare Urteil medial, besonders in den grossen privaten wie öffentlich-rechtlichen sogenannten Leitmedien, bisher kaum sachbezogene Beachtung gefunden hat.

Worum geht es?

Geklagt hatte ein Teilnehmer einer privaten Geburtstagsfeier, welche in den Abendstunden des 24. April 2020 im Hinterhof eines Hauses in W. stattgefunden hatte. Teilgenommen hatten an dieser kleinen Feier insgesamt 8 Personen, die aus 7 verschiedenen Haushalten stammten. Weil die Betreffenden mit ihrem Verhalten (Versammlung von zu vielen Personen aus zu vielen verschiedenen Haushalten) gegen mehrere Auflagen und somit Paragraphen der Dritten Thüringer Verordnung über erforderliche Massnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 verstossen hatten, wurden sie verzeigt. Mit seiner Klage stellte einer der Verzeigten die behaupteten Ordnungswidrigkeiten in Frage und verlangte deren gerichtliche Beurteilung. In Fällen wie diesem, wo es nicht um förmliche Gesetze des Bundes und der Länder, sondern nur um materielle Gesetze wie Rechtsverordnungen geht, hat über deren Vereinbarkeit mit der Verfassung gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedes Gericht selbst zu entscheiden.

Kläger freigesprochen

Soviel sei vorweggenommen: Der Kläger wird vollumfänglich freigesprochen. Die Verfahrenskosten und sämtliche notwendigen Auslagen des Betroffenen habe die Staatskasse zu übernehmen.

Nicht mit dem Grundgesetz vereinbar

Im Leitsatz des Entscheides wird festgehalten, dass die Thüringer Sars-Cov-2-Eindämmungs-Massnahmen-Verordnung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher nichtig sei. Weiter unten führt dann das Gericht aus, dass entsprechend auch die verschiedenen Corona-Verordnungen der Bundesländer im Grundsatz nicht den rechtlichen Anforderungen genügt hätten. Die tief in die Grundrechte eingreifenden Regelungen seien von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Infektionsschutzgesetz überhaupt nicht gedeckt und daher klar verfassungswidrig. Dazu gehörten auch das hier zur Rede stehende sogenannte allg. Kontaktverbot, das zumindest einen schweren Eingriff in die allg. Handlungsfreiheit darstelle, darüber hinaus aber auch in die Versammlungs-, Vereinigungs-, Religions-, Berufs- und Kunstfreiheit, und zwar unabhängig von der Frage, ob jemand krankheits- oder ansteckungsverdächtig sei oder nicht, sowohl im privaten wie im öffentlichen Raum. Damit würden die Freiheitsrechte im Kern getroffen. Weiter wird etwa die Verletzung der im Grundgesetz unantastbar garantierten Menschenwürde festgestellt ebenso wie den verordneten Massnahmen die Verhältnismässigkeit abgesprochen wird.

Frühjahr 2020 – Keine epidemische Lage, keine Überlastung des Gesundheitswesens

Interessant und überaus deutlich sind auch die weiteren dargelegten Ausführungen und Begründungen des Gerichts, und sie werden alle mit breit erhobenen Daten belegt. So wären etwa zu keiner Zeit besondere Regelungen gerechtfertigt gewesen, die der Exekutive sehr begrenzte und gezielte eingriffsintensive Massnahmen zugestanden hätten. Oder es habe bei weitem in ganz Deutschland zu keiner Zeit eine epidemische Lage bestanden, wenngleich dies der Bundestag mit Wirkung ab 28. März 2020 so festgestellt habe. Selbst im Frühjahr 2020 anlässlich der Anordnung des ersten Lockdowns habe in ganz Deutschland zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems durch Covid-19-Patienten bestanden, es sei deshalb auch nie eine Epidemie nationaler Tragweite vorgelegen. Und die Schreckensszenarien, die im Frühjahr 2020 die Entscheidung über den Lockdown massgeblich beeinflusst hätten, würden auf verschiedenen nachweislich falschen Annahmen beruhen.

Verletzung eines rechtsstaatlichen Tabus

Der Staat habe mit dem Kontaktverbot – wenn auch in guter Absicht – die Grundlagen der Gesellschaft angegriffen durch das Erzwingen von physischer Distanz zwischen den Bürgerinnen und Bürgern («social distancing»). Mit dem allgemeinen Kontaktverbot werde gar ein bisher selbstverständliches Tabu im demokratischen Rechtsstaat verletzt.

Exekutive trägt volle Verantwortung

Der Verordnungsgeber – also die Exekutive – trage die alleinige volle Verantwortung für die Verfassungsmässigkeit der von ihm erlassenen Verordnungen und könne diese auch nicht teilweise an empfehlende Experten- oder Beratergremien delegieren.

Fehlende Sachkunde bei der Regierung

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, hätte sich die Regierung durch eigene Auseinandersetzung weit mehr und umfangreicher eigene Sachkunde verschaffen müssen, kritisiert das Gericht. So hätte es der Landesregierung schon früh zu denken geben können, dass sich das Strategiepapier des Bundesinnenministeriums vom März ganz offensichtlich als Science-Fiction erwiesen habe. Selbst mit einer bereits im Oktober 2019 veröffentlichten Metastudie der WHO zur Wirksamkeit von Lockdown-Massnahmen bei Influenzaepidemien (sog. nicht-pharmazeutische Interventionen) hätte man zum angeordneten Lockdown seit dem 23. März 2020 die geringe Wirksamkeit sämtlicher Massnahmen bzw. das tatsächliche Fehlen messbarer Effekte bezüglich des Infektionsgeschehens oder der Todesfälle voraussagen können. Die Wirkungslosigkeit von Lockdown-Massnahmen im Rahmen der Corona-Verläufe in anderen Ländern hätten auch mehrere wissenschaftliche Studien bestätigt. Mit Sicherheit aber könne aufgrund der Zahlen, der erfolgten Studien und Untersuchungen resümiert werden, dass im Zusammenhang mit den Lockdown-Massnahmen vermehrt Todesfälle passiert seien; ja allein die Zahl der Todesfälle, die auf die Massnahmen der Lockdown-Politik zurückzuführen seien, übersteige die Zahl der durch den Lockdown verhinderten Todesfälle um ein Vielfaches.

Folgekosten gigantisch

Die bisher angerichteten vielfältigen Schäden, Kollateralschäden und Folgekosten werden im Urteil als gigantisch bezeichnet. Sie würden dem zu beurteilenden Verhältnismässigkeitsgebot in keiner Weise genügen, und das formale Wort «unverhältnismässig» sei – so wird ausgeführt – schlicht zu farblos, um die Dimensionen des Geschehens auch nur anzudeuten.

Dramatische Konsequenzen für viele Lebensbereiche

Das Gericht kommt zusammenfassend und abschliessend zur Feststellung, dass es sich bei der von der Landesregierung seit dem Frühjahr 2020 verfolgten Politik des Lockdowns mit dem wesentlichen Bestandteil des verfassungswidrigen Kontaktverbots insgesamt um eine katastrophale politische Fehleinschätzung handle mit dramatischen Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche der Menschen, für die Gesellschaft, für den Staat und für die Länder des globalen Südens.

Quellen:https://justiz.de/onlinedienste/rechtsprechung/index.php und https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/6054.htm

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