Schweiz
Frühfranzösisch – warum es nicht funktioniert
von Marita Brune-Koch*
(17. Oktober 2025) In den meisten deutschsprachigen Kantonen der Schweiz haben die Schüler seit über zwanzig Jahren Französischunterricht in der Primarschule. Der Erfolg blieb aus, die Schüler lernen zu wenig. Deshalb haben einige Kantone beschlossen, das Frühfranzösisch (5.+6. Klasse) einzustellen und erst in der Oberstufe (7. Klasse) mit dem Französischunterricht zu beginnen. Darüber ist eine Kontroverse entbrannt – weit über schulische Kreise hinaus. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider – mithin Teil der Regierung der Schweiz – drohte sogar, die Kantone zu zwingen, das Frühfranzösisch beizubehalten. Dies, obwohl die Bildungshoheit bei den Kantonen liegt. Wir bringen einen weiteren Diskussionsbeitrag zum Thema.

(Bild gk)
«Drei Mal in der Woche ‹Frère Jacques› singen – davon lernt man noch kein Französisch.» Das sagte mein Kollege, Romanist und erfahrener Französischlehrer an einer Sekundarschule, schon vor Jahren. Er und seinen Kollegen waren sich einig: Die Schüler, die heute in die Oberstufe kommen, sind absolut nicht motiviert, Französisch zu lernen. Sie haben in der Regel die Lernziele nicht erreicht, können nicht mal die beiden zentralen Verben «être» und «avoir» konjugieren. Der Misserfolg hat sie vom Französischlernen abgeschreckt. Vor der Einführung des Frühfranzösisch war das anders. Die Schüler und Schülerinnen, die in die 7. Klasse kamen, waren meist motiviert und gespannt auf das neue Fach. Die Lehrer konnten die Sprache systematisch und entsprechend der Fachwissenschaft und Fachdidaktik aufbauen. Jetzt, nach dem Frühfranzösisch, ist das kaum noch möglich. Die Schüler haben keinen Sprachaufbau und wollen auch nichts mehr wissen von der Sprache. Kinder zwei bis dreimal die Woche mit Französisch rumspielen lassen, ohne ihnen wirklich etwas beizubringen, verdirbt ihnen die Lust am Lernen, weil sie nicht zum Erfolg kommen.
Sind die Schüler dümmer als frühere Generationen? Sicher nicht. Wenn man sich über den Sinn oder Unsinn von Frühfranzösisch klar werden will, muss man das Ganze anschauen: Die Sprache wird nicht systematisch vermittelt, Grammatik und Vokabel-lernen ist verpönt. Statt dessen soll ein «Sprachbad», in das die Schüler zwei- bis dreimal die Woche eintauchen, die Schüler ohne Anstrengung und Eigenleistung quasi automatisch an die Sprache heranführen. Sowas funktioniert aber höchstens dann, wenn die zu erlernende Sprache über lange Zeit im Alltag von vertrauten Personen gesprochen wird und das Kind so in die Sprache herein wächst. Und auch dann nur wirklich, wenn das Kind mutig ist, sich das Lernen zutraut und ermutigende, zugewandte Beziehungspersonen hat, die beide Sprachen gut beherrschen.
Klar, dass das Frühfranzösisch schon an diesen Hürden scheitert: 2–3 Lektionen in der Woche sind kein «Sprachbad». Ausserdem haben wir es heute vielfach mit Kindern zu tun, die selbst die eigene Muttersprache nicht gut beherrschen. Vielfältige Ursachen haben dazu geführt, dass sehr viele Kinder unter sprachlichen Defiziten leiden. Eine der Ursachen ist der übermässig häufige Gebrauch digitaler Medien – der Kinder, aber oft auch ihrer Eltern. Eine gesunde Sprachentwicklung kann dadurch gehemmt oder verhindert werden. Dazu kommt noch die Tatsache, dass viele fremdsprachige Kinder die Schule besuchen. Sie müssten erst einmal – nach der Beherrschung ihrer eigenen Muttersprache – der deutschen Sprache mächtig werden. Und dazu noch des «Schwyzerdütschen», denn sonst gelingt die Beziehung zu den Gleichaltrigen nicht gut – und auch das hemmt wiederum das schulische Lernen.
Die Forderung, dass deutschsprachige Schweizer Kinder Französisch lernen sollten, ist voll und ganz zu bejahen. Ohne gemeinsame Sprache keine Verständigung, ohne Verständigung kein Verständnis – die gemeinsame Kultur, der Zusammenhalt ist so sicher gefährdet. Aber so, wie es jetzt gemacht wird, geht es sicher nicht.
Folgende Voraussetzungen braucht es zum Spracherwerb:
- Die Kinder müssen ihre Muttersprache gut beherrschen.
- Die Kinder müssen gut Deutsch können. Das ist nicht immer dasselbe.
- Kinder müssten in allen Fächern wieder einen guten, systematisch anleitenden Unterricht geniessen dürfen, der auf den bewährten Fachdidaktiken der einzelnen Fächer beruht.
- Lehrer sind heute vielfach Coach oder Lernbegleiter. Um den Schülern eine Chance auf Lernerfolg zu ermöglichen, müssten Lehrer wieder unterrichten können und dürfen; selbstständig lernen können die meisten Menschen erst auf einer soliden Grundlage, als Erwachsene.
- Die Beziehung des Lehrers zu den Schülern muss wieder tragend werden.
- Schüler und Schülerinnen sollten sich wieder auf die Lehrer ausrichten, sie müssen wieder lernen, den Lehrern und den Mitschülern zuzuhören.
- Schüler und Schülerinnen müssen wieder lernen, sich auf eine Sache zu fokussieren, sich anzustrengen und Hürden zu überwinden.
Wie man sieht, hängt das Scheitern des Frühfranzösisch mit vielem zusammen. Es nur einzufordern, nutzt wenig. Ein Weiter so ist verschwendete Zeit und verschwendetes Geld und entmutigt die Schüler.
Angesichts der vielfältigen Probleme, denen sich unsere Schulen ausgesetzt sehen, ist es sicher sinnvoll, das Frühfranzösisch auszusetzen. Die gewonnene Zeit kann man für einen systematischen Aufbaus der deutschen Sprache nutzen. Somit können Schüler und Schülerinnen wieder die Grundlage erwerben, um in der Oberstufe eine neue Fremdsprache richtig zu lernen.
Ergänzen könnte man den systematischen Sprachaufbau mit Schüleraustausch und wechselseitigen Sprachaufenthalten zwischen der Deutschschweiz und der Romandie. Das bringt sicher mehr als ein künstliches «Sprachbad» zwei Mal die Woche.
* Marita Brune-Koch ist eine erfahrene schulische Heilpädagogin und Mitglied der Redaktion «Schweizer-Standpunkt». |