Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität»
Ständerat lehnt die Initiative ab, will aber die Neutralität klarer in der Bundesverfassung verankern
von Dr. phil. René Roca, Mitglied des Initiativkomitees*
(4. Juli 2025) (CH-S) Am 20.und 21. Juni 2025 referierte der langjährige Gymnasiallehrer und promovierte Historiker René Roca beim Verein «Schweizer Standpunkt» in Frauenfeld zur Bedeutung der Neutralitätsinitiative für unser Land und diskutierte diese ausführlich mit den Teilnehmern. Er legte auch zentrale historische Ereignisse dar, die in den letzten 200 Jahren mithalfen, Kriege von der Schweiz fernzuhalten und den inneren und äusseren Frieden zu wahren.
Der folgende Artikel beinhaltet René Rocas Erläuterungen zum aktuellen Stand der Parlamentsdebatten über die Volksinitiative, die er für den «Schweizer Standpunkt» verschriftlicht hat.
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Gleich zwei Kommissionen des Ständerates haben sich [im Mai/Juni] mit der Neutralitätsinitiative befasst. Die «Sicherheitspolitische Kommission» (SIK-S) diskutierte nicht lange, orientierte sich eng an der Botschaft des Bundesrates und lehnte die Initiative deutlich ohne Gegenvorschlag ab.
Die Aussenpolitische Kommission (APK-S) nahm die Sache ernster. Sie verschob die kommissionsinterne Abstimmung zur Neutralitätsinitiative insgesamt dreimal, diskutierte die Vorlage offenbar intensiv, holte Expertenstimmen ein und studierte zahlreiche Quellen zur Schweizer Neutralität.
Ein solcher Umgang mit einem Anliegen aus der Bevölkerung, und nicht wie oft fälschlicherweise geschrieben wird aus einer Parteizentrale, ist ein hervorragendes Beispiel der Vorwirkung der direkten Demokratie. Eine Volksinitiative löst Debatten aus und ein grundsätzliches Nachdenken setzt ein. Dazu gehörte in der APK-S auch, dass man neben der Initiative einen direkten Gegenvorschlag diskutierte. Beides wurde schliesslich abgelehnt, aber nun war ein gutes Fundament für eine möglichst sachliche Debatte im Ständerat gelegt.
Der Ständerat diskutierte dann auch die Neutralitätsinitiative drei Stunden lang. Die Voten der Ständerätinnen und Ständeräte bewegten sich auf unterschiedlichen inhaltlichen Niveaus. Insgesamt wurde das Anliegen aber ernsthaft diskutiert, ebenso der direkte Gegenvorschlag, den die APK-S eingebracht und dann verworfen hatte. Die Neutralitätsinitiative wurde schliesslich abgelehnt, der direkte Gegenvorschlag aber kam durch. Die Bundesverfassung soll danach wie folgt geändert werden:
«Art. 54a Schweizerische Neutralität
1 Die Schweiz ist neutral. Ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet.
2 Der Bund nutzt die Neutralität, um die Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz zu gewährleisten, Konflikte zu verhindern oder zur Lösung von Konflikten beizutragen. Er steht als Vermittler zur Verfügung.»
Der Absatz 1 lautet gleich wie bei beim offiziellen Volksbegehren. Dessen Absätze 2 und 3 sind gestrichen worden. Der Absatz 4 wird übernommen und sogar noch ergänzt.
In der Volksinitiative lautet der 4. Absatz folgendermassen:
«Die Schweiz nutzt ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten und steht als Vermittlerin zur Verfügung.»
Im Absatz 2 des Gegenvorschlags ist die Betonung der Schutzwirkung der Neutralität für die Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz ein wichtiger Zusatz. Diese Ergänzung wiegt aber die aus dem Initiativtext gestrichenen Absätze keineswegs auf!
Die Absätze 2 und 3 des Initiativtextes beinhalten nämlich unerlässliche Forderungen, um die Schweizer Neutralität unmissverständlich zu definieren:
In Absatz 2 wird festgehalten, dass die Schweiz keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis beitreten soll. In Absatz 3 wird der Grundsatz formuliert, dass sich die Schweiz nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten beteiligen und ausserdem auch keine nicht-militärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten treffen darf.
Diese inhaltlichen Klärungen sind grundlegend für eine integrale und umfassende Neutralität, wie sie früher noch selbstverständlich war und heute in der eidgenössischen Bundesverfassung verankert werden soll. Nur wenn die Schweiz ihre jahrelange politische und militärische Annäherung an das Kriegsbündnis Nato abbricht und keine Wirtschaftssanktionen mehr mitträgt, wird sie im Ausland wieder als neutrales Land angesehen werden.
Es liegt nun am Nationalrat während der kommenden Herbstsession vom 8. bis 26. September über die Initiative und den Gegenvorschlag zu befinden. Falls auch dieser Rat dem direkten Gegenvorschlag zustimmt, kommt beides gleichzeitig zur Abstimmung – allerdings nur wenn das aus 27 Personen bestehende Initiativkomitee, die Initiative nicht zurückzieht.
Klar muss sein, dass der in der Initiative vorgeschlagene Artikel 54a nur mit den vollständigen Absätzen 1–4 die Schweizer Neutralität glaubwürdig in die Bundesverfassung verankern kann. Dies ist die Grundlage, die unsere Regierung und das Parlament verpflichtet, sich wieder auf dem Boden der Neutralität für den Frieden in der Welt einzusetzen und sich in Krisensituationen als neutrale Vermittlerin anzubieten. Auf dieser Grundlage wird unser Land auch die Guten Dienste wieder ausbauen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erfolgreich unterstützen können.
* Dr. phil. René Roca ist Gymnasiallehrer, promovierter Historiker und Mitglied des Initiativkomitees «Wahrung der schweizerischen Neutralität» (Neutralitätsinitiative). Er gründete und leitet das Forschungsinstitut direkte Demokratie (www.fidd.ch). |