Wo bleibt die Souveränität in der Schweizer Gesundheitspolitik?
Bundesrat verschärft seinen Anpassungskurs an die Vorgaben von supranationalen Organisationen
von Dr. med. Sabine Vuilleumier-Koch*
(4. Juli 2025) «An seiner Sitzung vom 20. Juni 2025 hat der Bundesrat entschieden, die Anpassungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV 2005) anzunehmen.»1 Diese Nachricht kam nicht unerwartet, war aber dennoch schockierend. Mit seinem Vorgehen macht der Bundesrat einmal mehr klar, dass ihm die internationale Bühne wichtiger ist als die Souveränität der Schweiz in ihrer Gesundheitspolitik.
Das letzte Wort sei aber noch nicht gesprochen, schreibt das «Aktionsbündnis freie Schweiz» ABF, das sich mit einer breiten Allianz von Menschen aus allen Bevölkerungsschichten für Freiheit und Selbstbestimmung einsetzt. Der Entscheid des Bundesrates sei noch nicht bindend. Er kann vor dem 19. Juli rückgängig gemacht werden mit dem «opting-out», wofür sich bereits 48 000 Menschen mit ihrer Unterschrift einsetzen – und die Unterschriftensammlung läuft weiter.2 Auch ruft ABF Schweiz den Souverän zur Landsgemeinde am 5. Juli 2025 auf.

Keine Mitsprache des Parlaments
Der Bundesrat traf den Entscheid, die Anpassungen der IGV anzunehmen, am letzten Tag der Sommersession. Die Motion «Kein WHO-Abkommen ohne parlamentarische Genehmigung» war aber 2024 von National- und Ständerat angenommen worden.3 Die Zustimmung zu dieser Motion war ein verbindlicher Auftrag an den Bundesrat, aktiv zu werden und hätte es dem Parlament ermöglicht, sich vor dem 19. Juli zu den Anpassungen der IGV zu äussern. Rechtsanwalt und Nationalrat Rémy Wyssmann machte mit einer Aufsichtsanzeige am 21. Mai 2025 auf dieses Versäumnis aufmerksam.4 Dass das Parlament trotzdem bezüglich Annahme oder Ablehnung der IGV nicht mitreden konnte, bedeutet einen weiteren Schritt im Abbau der demokratischen Debattenkultur!
Verpflichtungen einhalten ist freiwillig?
Bei der Zustimmung zu den Anpassungen der IGV argumentiert der Bundesrat gemäss Pressemitteilung vom 20. Juni geradezu grotesk: «… Dabei ist es den einzelnen Ländern wie der Schweiz überlassen, wie sie diese Verpflichtungen in ihrem nationalen Kontext konkret umsetzen.» Die Souveränität sei «in den IGV seit 2005 explizit garantiert.» Gleichzeitig macht er deutlich, dass die IGV ein «rechtsverbindliches Instrument der WHO» sind.
Dass eine Umsetzung von Verpflichtungen nicht freiwillig sein kann, sondern eben eine Pflicht darstellt, leuchtet bei gutem Willen unmittelbar ein. Unabhängige Juristen haben wiederholt und in vielen Referaten belegt, dass die neuen IGV einen Machtausbau der WHO bedeuten und damit die Souveränität der Vertragsstaaten empfindlich einschränken.
Nicht «nur» konnte der Generaldirektor der WHO schon bisher alleine das Vorliegen einer «gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite» bestimmen und ihm und den Geldgebern der WHO passende Massnahmen einleiten. Neu soll dies auch bei den vage definierten «hohen Risiken» einer «pandemischen Notlage» möglich sein. – Da wäre ein «Opting-out» nur folgerichtig.
Bundesrat befolgt Vorgaben der WHO
Der Bundesrat liess sich bereits während der Corona-Pandemie von der WHO gängeln und zeigte keineswegs unabhängiges Handeln wie zum Beispiel Schweden. Weshalb dieser krasse Gegensatz zwischen Taten und Worten? Bundesrat Cassis hatte im Januar 2022 in der Sendung «Arena» klar gemacht, dass die Schweiz sich an die Vorgaben der WHO hielt: ein Unfalltoter mit einem positiven Corona-Test müsse als Corona-Toter gezählt werden – so wolle es die WHO… – Oder bedeutet das Handeln des Bundesrates, dass er den Vorgaben der WHO «freiwillig» folgt, also mit allem einverstanden ist?
Fehlende Widerstandskraft
Durch die neuen IGV wird der Umsetzungsdruck der WHO auf die Schweiz noch erhöht. Und die Widerstandskraft des Bundesrates wird gering sein: In der Schweiz gibt es unzählige «WHO Collaborating Centres», die in einer strikt geregelten, vertraglich gebundenen Zusammenarbeit spezifische Aufgaben im Sinne der WHO-Programme ausführen.5
Im Gefolge von EU-Vorgaben
Auch auf anderen Pfaden weicht der Bundesrat die Unabhängigkeit der Schweiz in der Gestaltung ihrer Gesundheitspolitik immer mehr auf. So im «Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Gesundheit», das wie die anderen neuen Abkommen des «Paket Schweiz-EU» vom Bundesrat am 13. Juni in die Vernehmlassung gegeben wurde. Es soll «insbesondere die Vorsorge und Reaktion in Bezug auf schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsfragen, …»6 regeln. Dieser Zweck erinnert an denjenigen der IGV, «die grenzüberschreitende Verbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern …». Wie dieser Zweck umgesetzt werden kann, haben wir in Corona-Zeiten erlebt und erlitten. – Eine Analyse der 81 Seiten dieses Abkommens EU-Schweiz zur Gesundheit aus juristischer und medizinischer Perspektive steht noch aus.
Die Frage an den Bundesrat ist unbeantwortet: Wo bleibt die Souveränität in der Gesundheitspolitik der Schweiz?
* Dr. med. Sabine Vuilleumier ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH und Mitarbeiterin des «Schweizer Standpunkt». |
1 https://www.seco-cooperation.admin.ch/de/newnsb/Mk25bhNcE9_80o1N_LVVI
3 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20223546
4 https://abfschweiz.ch/wp-content/uploads/Aufsichts-anzeige-und-Bericht.pdf
5 https://abfschweiz.ch/wp-content/uploads/Artikel-29_04_25.pdf